Ein super Schultag
Wenn ich vor der Klasse stehe, dann sehe ich zum Anfang der ersten Unterrichtsstunde eigentlich fast immer dasselbe Bild. Teils gelangweilte Gesichter, "Was will der hier? Muss ich mitmachen, ich habe doch schon meinen Führerschein? Was, Physik? Igitt Igitt." Teils müde Gesichter. "Was denn, schon wieder Morgen?" Viele der Schüler haben nichts mit, keinen Taschenrechner, keinen Stift, kein Blatt Papier, geschweige denn eine Formelsammlung. "Nun bespaße uns mal"
Zwei Unterrichtsstunden später. Strahlende Gesichter und aufgekratzte Gemüter, "Physikunterricht kann ja sogar interessant sein und hat auch noch etwas mit dem täglichen Leben zu tun. Eigentlich wollte ich ja Physik abwählen, aber das mache ich jetzt nicht mehr", Hitzige Diskussionen: "Warum ist der jetzt verurteilt worden?“ „Hat denn der Fahrradfahrer den Pkw nicht gesehen, ist der blind?"
Eigentlich werden die Schüler ja auf die beiden Unterrichtsstunden eingestimmt, zumindest von den Lehrern her, die das schon mehrmals miterlebt haben. Aber, wie das so ist, wenn Lehrer etwas sagen, heißt das noch lange nicht, dass das Gesagte auch im Schülerhirn irgendetwas auslöst. Denn schließlich verfügt jeder Schüler und natürlich auch jede Schülerin über zwei Ohren. Soll heißen, was in das eine Ohr rein geht, kann ungefiltert aus dem anderen Ohr auch wieder raus gelangen. Und so tun sie völlig überrascht, dass doch heute das Verkehrsseminar stattfindet.
Übrigens heißt es bewusst nicht Verkehrserziehung, denn was will man damit erreichen bei einem pubertierenden Zweibeiner, der ohnehin auf alles, was mit Erziehung auch nur annähernd in Verbindung gebracht werden kann, mit entsprechender Abwehr reagiert. Deshalb also Verkehrsseminar. Hört sich besser an und es kommt kein Sterbenswörtchen von Erziehung darin vor, obwohl es eigentlich pure Erziehung ist, aber eben nicht belehrend, sondern durch Selbsterkenntnis hervor gerufen.
Ein wichtiger Bestandteil des gesamten Seminars bildet die Gruppenarbeit. Und das ist keine Beschäftigungstherapie, sondern da geht es um echte Fälle. Das allerdings verstehen manche Schüler nicht. Die denken doch wirklich, die Fälle hätte ich mir ausgedacht. Ich fühle mich dann zwar geschmeichelt, dass man mir so viel Fantasie zutraut, aber, nein, es sind echte Fälle, bei denen auch schon ein Gerichtsurteil gefällt wurde. Und spätestens an dieser Stelle platzt ratz fatz die Illusion von einem funktionierenden Rechtssystem.
Den meisten Spaß haben die Schüler bei der Präsentation eines der vier Fälle, zumal ich auch noch vorher ankündige, dass ich gegen alles, was die Schüler so vorzubringen gedenken, sein werde. Da wird ihnen zum ersten Mal klar, dass reines Geschwafel nicht weiter bringt, zumal die Präsentation bzw. Diskussion schon sehr nah an eine echte Gerichtsverhandlung heran kommt. Und das am eigenen Leibe zu erleben ist eben doch etwas anderes, als nur darüber zu plauschen, obwohl ihnen klar ist, dass ihnen nichts passieren kann, aber, es ist täuschend echt. Und da kochen schon mal die Emotionen hoch.
Das Erstaunliche ist, dass sich die Schüler auch noch Jahre später daran erinnern, obwohl ich nur ein einziges Mal in der Klasse für zwei Unterrichtsstunden war. Offensichtlich muss ja doch einiges im Schülerhirn von meinem Seminar hängen bleiben.
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